- Primaten: Die stammesgeschichtliche Entwicklung
- Primaten: Die stammesgeschichtliche EntwicklungIm Rahmen der allgemeinen Säugetierentwicklung war die stammesgeschichtliche Entwicklung und Aufspaltung der Primaten (»Herrentiere«) an die zunehmend einschneidenden Klima- und damit Umweltveränderungen in der Zeit des Tertiärs (65 bis 2,5 Millionen Jahre vor unserer Zeit) und des sich anschließenden Quartärs gebunden. Diese spielten eine wesentliche Rolle im Ablauf von Änderungen im Bauplan der Organismen sowie für die Anpassungs- und Auslesevorgänge. Dies trifft natürlich auch auf die stammesgeschichtliche Entwicklung des Menschen zu, der im zoologischen System der Säugetierordnung Primaten zugeordnet wird.Einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung, Wanderung und Ausbreitung der Primaten während des Tertiärs hatte die Veränderung der Gestalt des Erdbildes. Noch zu Beginn des Tertiärs bildeten Nordamerika und Eurasien eine einheitliche Landmasse, die südlichen Kontinente waren hiervon durch die Tethys, einen breiten Meeresraum, getrennt. Während des Eozäns brach die Verbindung Nordamerikas und Eurasiens auseinander, Australien trennte sich vom antarktischen Kontinent, und die indische Tafel kollidierte mit Asien. Diese Vorgänge hatten eine alpidische Gebirgsbildung zur Folge. Während sich durch die zu Ende gehende Kontinentalverschiebung die Ozeane verbreiterten, verschwand die Tethys bis auf einen Rest, das heutige Mittelmeer. Gegen Ende des Tertiärs hatten die Kontinente und Meere etwa ihre heutige Lage erreicht.Seit dem mittleren Tertiär kam es zu einer allgemeinen Abkühlung. Gemeinsam mit Kontinentaldrift und Gebirgsbildung führte dies zu ersten Vergletscherungen und zur Bildung der Eiskappen an den Polen. Im Quartär führte schließlich der relativ schnelle Wechsel von Kalt- und Warmzeiten zu mehrfachen einschneidenden Umweltveränderungen. Während der jüngeren Kaltzeiten kam es zu umfangreichen Gebirgs- und Inlandvereisungen sowie zu einer starken Absenkung des Meeresspiegels. Hierdurch entstanden wiederum Landbrücken, die Wanderungen ermöglichten.Im subtropisch-tropischen Klima des frühen Tertiärs bildeten sich immergrüne Laubwälder heraus, die in den feuchten Tropen den Charakter von Regenwäldern annahmen. Die Abkühlung ab der Mitte des Tertiärs führte zur Zurückdrängung der Wälder und zur Entstehung offener Landschaften mit lichter Bewaldung, Buschvegetation und Grasländern. In den kühleren Klimagebieten nahmen diese Landschaften den Charakter von Waldsteppen und Steppen an. Die Ausbreitung offener Landschaften war schließlich der entscheidende Grund für die Herausbildung der zweibeinigen Fortbewegungsweise und der damit verbundenen Entstehung der Art der Hominiden.Affen und MenschenAls Ausgangsform der Primaten werden primitive, baumlebende Insektenfresser (Insectivora) angesehen, die sich vor etwa 70 Millionen Jahren am Ende der Kreidezeit entwickelten. Der älteste Kleinsäuger dieser Art, durch Funde in Ablagerungen des Paläozäns in Nordamerika bekannt geworden, ist der Purgatorius, der dem heutigen Spitzhörnchen ähnelt. Noch im Paläozän spalteten sich die archaischen Primaten auf in einen Zweig, der zu den heutigen Halbaffen (Prosimiae), und einen anderen, der zu den heutigen eigentlichen Affen (Simiae) führte. Spätestens im unteren Eozän hatten sich dann im Zuge der bis dahin erfolgten Abspaltung Nordamerikas von Eurasien die Affen der Neuen Welt (breitnasige Platyrrhini oder Ceboiden) von denen der Alten Welt (schmalnasige Catarrhini) abgetrennt; für die weitere Entwicklung der menschlichen Stammesgeschichte bleiben nur die Letzteren von Interesse, da aus ihnen im weiteren Entwicklungsverlauf die Menschenartigen (Hominoidea) hervorgingen.Die frühesten Catarrhinenfunde stammen aus einer Schichtenfolge der Oase Faijum in Ägypten, ihr Alter wird auf etwa 35 Millionen Jahre geschätzt. Der Lebensraum dieser frucht- und blattessenden Affen (Parapithecus, Propliopithecus und Aegyptopithecus) bestand aus einer subtropisch-tropischen Küstenlandschaft mit einem Flussdelta, das mit Sumpf- und Galeriewäldern aus Mangroven, Palmen und Lianen bestanden war. Als Vierfüßer konnten sie sich offensichtlich gleichermaßen in den Baumkronen und am Boden fortbewegen. Während Parapithecus noch ein primitives Gebiss mit 36 Zähnen besaß, hatte der Propliopithecus bereits ein Gebiss mit 32 Zähnen und einem Zahnhöckermuster, wie es für die Menschenartigen typisch ist. Vom Ast der oligozänen Catarrhinen spaltete sich spätestens am Ende dieser erdgeschichtlichen Epoche der Zweig der heutigen Hundsaffen (Cercopithecoidea) ab, während sich die übrigen Catarrhinen zu frühen Menschenartigen weiterentwickelten. Von diesen zweigten sich bereits im frühen Miozän die Gibbons (Hylobatidae, Kleine Menschenaffen) ab, sie bildeten von da ab eine selbstständige Evolutionslinie.Vor etwa 22 bis 17 Millionen Jahren bildete sich schließlich die Linie der Menschenartigen im engeren Sinne heraus, allein aus Ostafrika sind zehn verschiedene Arten bekannt. Einige von ihnen bildeten die 1933 entdeckte Gattung der Proconsuliden, die als vierfüßige, relativ großwüchsige Kletterer in den Bäumen, aber auch am Boden lebten und sich von Früchten ernährten. Die Fähigkeit zum Leben am Boden wurde für sie zur Notwendigkeit, da der Regenwald infolge von klimatisch verursachten Umweltveränderungen mehr und mehr von der Feuchtsavanne und von Grasländern verdrängt wurde. Als noch unspezialisierte Hominoiden wiesen sie ein Gemisch von Merkmalen auf. Vor allem die rückgebildete, abgeflachte Nasenpartie, die nach vorn gerichteten Augenhöhlen, die hohe, gewölbte Stirn und das relativ große Gehirn weisen darauf hin, dass die Proconsuliden ein wichtiges Element in der Stammesentwicklung der Hominoiden darstellen. Evolutionär fortgeschrittener sind jedoch der etwa 15 Millionen Jahre alte Kenyapithecus aus Ostafrika und der gleich alte Dryopithecus aus Südeuropa, die nach heutiger Auffassung am ehesten als letzte gemeinsame Vorfahren von Menschenaffen und Menschen in Frage kommen. Der teilweise als Ahnherr bezeichnete süd- und vorderasiatische, acht bis zwölf Millionen Jahre alte Sivapithecus gilt dagegen heute sicher als direkter Vorfahre der heutigen Orang-Utans. Der lange Zeit als Urvater geltende indische Ramapithecus bildet nach neueren Untersuchungen eine kleine Unterart des Sivapithecus.Wie die weitere Entwicklung zu den sich brachiatorisch (d. h. in der Fähigkeit zum Hangeln) spezialisierenden Großen Menschenaffen einerseits und zu den bipeden (zweifüßigen) Vormenschen andererseits verlief, ist nach wie vor umstritten, da für die Zeit zwischen zehn und fünf Millionen Jahren vor heute eine große Fundlücke klafft. Als gemeinsamer Nenner der verschiedenen Erklärungsmuster lässt sich herausarbeiten, dass sich in diesem Zeitraum zunächst die (asiatischen) Orang-Utans abspalteten (über die Art Sivapithecus), später — vermutlich zwischen sieben und fünf Millionen Jahren — sich die afrikanischen Gattungen Gorilla und Schimpanse sowie die frühen Hominiden auseinander entwickelten. Als mögliche gemeinsame Urformen für die afrikanischen Großen Menschenaffen und die Menschen kommen die zehn Millionen Jahre alten, als Uranopithecus macedoniensis bekannten Funde aus Nordgriechenland sowie der neun Millionen Jahre alte Oberkiefer Samburu maxilla (benannt nach den Samburu Hills in Kenia) in Frage.Dr. habil. Dietrich ManiaWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Australopithecinen: Frühe MenschheitsentwicklungGrundlegende Informationen finden Sie unter:Ursprung der MenschheitEccles, John C.: Das Rätsel Mensch. Die Evolution des Menschen und die Funktion des Gehirns. München u. a. 1989.Die ersten Menschen. Ursprünge und Geschichte des Menschen bis 10 000 vor Christus, herausgegeben von Göran Burenhult. Bearbeitet von Björn E. Berglund u. a. Hamburg 1994.Evolution des Menschen, herausgegeben und mit Einführung versehen von Bruno Streit. Heidelberg 1995.Evolution des Menschen, Band 2: Die phylogenetische Entwicklung der Hominiden, bearbeitet von Peter Schmid und Elke Rottländer. Tübingen 1989.Evolution des Menschen, Band 4: Evolution des Verhaltens - biologische und ethische Dimensionen, bearbeitet von Eckart Voland u. a. Tübingen 1990.
Universal-Lexikon. 2012.